Können Sie Ihre Aufgaben üblicherweise wie geplant abschließen? Schieben Sie Arbeiten vor sich her? Wie lange können Sie normalerweise voll konzentriert an einer Sache bleiben? Wie häufig werden Sie pro Stunde unterbrochen oder lenken sich selbst ab?
Der Begriff Zeitmanagement ist irreführend, da wir die Zeit selbst nicht managen können. Aber die zur Verfügung stehende Zeit sollte optimal ausgenutzt werden.
Wir sind die Hälfte der Zeit nicht wirklich „da“!
Bei unseren Führungskräftetrainings erklären wir den Teilnehmern schon ganz zu Beginn, wie sie sich in die Präsenz zurückholen können, wenn sie merken, dass sie abschweifen. Es ist völlig normal, dass sich Menschen mental entfernen und sich mit ganz anderen Gedanken beschäftigen, als sie sollten oder eigentlich möchten.
Wir glauben, unseren Geist kontrollieren zu können. Tatsächlich aber macht der bis zu fünfzig Prozent unseres Wachlebens was er will. Was im Buddhismus seit Jahrhunderten als „Affengeist“ bekannt ist, nennt die moderne westliche Forschung „mind wandering“.
Nach durchschnittlich 11 Minuten erfolgt ein Unterbruch
Der Stressreport Deutschland 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz kommt zu dem Ergebnis, dass rund 44 Prozent der Befragten häufig ihre Arbeit unterbrechen müssen. Bei einer älteren, aber immer noch gültigen Studie, bei der Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz gefilmt wurden, zeigte sich, dass sie durchschnittlich nach elf Minuten unterbrochen wurden. Das Telefon klingelte. Jemand klopfte an die Tür. Der Empfang einer neuen E-Mail wurde angezeigt. Doch bei genauerer Analyse zeigte sich, dass die Hälfte der Unterbrechungen selbst erzeugte Unterbrechungen waren. Wenn tatsächlich mal niemand stört und man in Ruhe arbeiten könnte, unterbricht man sich selbst und tut irgendetwas anderes.
Spezialisten erklären, dass das Gehirn extrem schnell lernt und sich an die Umwelt anpasst. Die Erfahrung, nach etwa elf Minuten unterbrochen zu werden, führt zu einer inneren Vorhersage, die dafür sorgt, dass das Erwartete eintritt – wenn nicht durch eine äußere, dann eben durch eine innere Unterbrechung, die einen etwas anderes machen lässt. Wir sind gierig nach kleinen Neuigkeiten, die uns sofort mit einer Dopamin-Ausschüttung im Gehirn belohnen. Unsere Gier nach Unterhaltung und Abwechslung untergräbt unsere geistige Autonomie und lässt uns ständig irgendwelchen unnötigen Nachrichten und Erlebnissen hinterherlaufen.
Die modernen Medien verführen uns dazu, unserer Neugier fortlaufend nachzugeben, indem wir uns darüber benachrichtigen lassen, wenn jemand uns (und vielen anderen) etwas mitgeteilt hat. Es ergibt sich ein Teufelskreis, denn wir fühlen uns schlecht, wenn wir uns nicht konzentrieren und dadurch nur wenig erreichen können. Das muss schnellstens mit einer neuen Ablenkung verdrängt werden. Sobald man online ist – auch nur ganz kurz – ist die Aufmerksamkeit verflogen und die Konzentration muss neu aufgebaut werden.
Die Konzentrationsfähigkeit kann man verbessern
Oft unterbrechen wir uns, um unangenehmen Aufgaben aus dem Weg zu gehen. Dann suchen wir eine Gelegenheit, etwas anderes zuerst zu erledigen, nur um uns kurzfristig besser zu fühlen. Leider lösen sich aber nicht alle Angelegenheiten, indem man sie aussitzt. Es wäre also besser, an der Sache zu bleiben, als sie aufzuschieben. Das kann man lernen.
Aufmerksamkeit funktioniert wie ein Muskel. Wir können sie trainieren. Der nachweislich beste Weg ist Meditation, denn sie erhöht die geistige Autonomie, indem wir uns bewusst werden, was gerade passiert, und unseren Ablenkungsmechanismen auf die Schliche kommen. Auch ohne Meditation lässt sich die Konzentrationsfähigkeit erhöhen, doch üben muss man in jedem Fall. Zudem lässt die Konzentration mit der Zeit nach, weil wir ermüden. Deswegen sollten regelmäßige Pausen und Phasen für die Regeneration eingeplant werden.
Viele Störungen und Ablenkungen kann man vermeiden
Wir sind nicht alleine dafür verantwortlich, wie ungestört wir arbeiten können. Oft wollen Kollegen, Vorgesetzte oder Kunden ausgerechnet dann etwas von uns, wenn unsere ganze Konzentration erforderlich ist. Nicht alle Störungen kann man vermeiden. Es ist aber möglich, sie zu minimieren. Dazu muss man Vereinbarungen treffen.
Fragen Sie Ihre Kollegen, wie lange sie brauchen, um sich auf etwas voll zu konzentrieren. Die Anzahl Minuten dürfte individuell sein, doch es wird durchschnittlich mehrere Minuten dauern. Was passiert also, wenn wir einander etwa alle zehn Minuten unterbrechen? Wie gut können wir unsere Arbeitszeit nutzen und welche Resultate werden wohl erzielt? Wie kann das verbessert werden?
Verschiedene Veränderungen können ausprobiert werden:
- Zeiten für konzentriertes Arbeiten vereinbaren oder Zeiten, in denen man gestört werden darf („Sprechstunden“)
- Büros oder Räume einrichten, in denen man sich in Ruhe konzentrieren kann (z.B. Quiet Area / Think Tank)
- Die Bürotüren schließen oder bei großen Büros ein Signal vereinbaren, das den aktuellen Zustand signalisiert (Beispiel: rote Seite eines Täfelchens = nicht stören / grüne Seite = bin für Anliegen bereit) – das funktioniert allerdings nur, wenn das Signal auch zuverlässig gesetzt wird
Auf jeden Fall sollten alle Beteiligten für die Problematik sensibilisiert werden und Vorschläge einbringen können, wie unnötige und unpassende Störungen zu vermeiden sind. Nur wenn die Verhaltensregeln von allen akzeptiert wurden, darf man annehmen, dass sie auch eingehalten werden. Zusätzlich könnte man vereinbaren, wie mit Regelverstößen umzugehen ist. Dies kann die Verpflichtung verstärken.
Prokrastination – später ist auch noch früh genug!
Extremes Aufschieben ist eine Arbeitsstörung, die durch ein nicht nötiges Vertagen des Arbeitsbeginns oder auch durch sehr häufiges Unterbrechen des Arbeitens gekennzeichnet ist. Dieses problematische Aufschieben wird Prokrastination genannt (lateinisch procrastinare „vertagen“; Zusammensetzung aus pro „für“ und cras „morgen“).
Der Volksmund sagt: „Verschiebe nicht auf morgen, was Du heute kannst besorgen!“ Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass es oft leichter gesagt als getan ist. Manche Menschen brauchen den Druck der Deadline und schieben deswegen Aufgaben bis zum letztmöglichen Zeitpunkt hinaus. Andere wagen sich nicht an die Arbeit, weil sie einen Misserfolg fürchten und kümmern sich deswegen lieber um einfache Tätigkeiten, z.B. putzen oder aufräumen. In gewissen Fällen kann das Aufschieben ein Symptom einer psychischen Störung sein.
Der Zusammenhang zur Konzentration ist offensichtlich: Bei der Prokrastination bietet jede Störung eine Chance, etwas noch weiter hinauszuschieben. Wenigstens bekommt man dafür einen Grund. Unterbrechungen zu vermeiden, hilft also auch, weniger aufzuschieben. Zudem sollte analysiert werden, in welchen Situationen es am häufigsten zu Schwierigkeiten kommt. Dann kann man Strategien zur Vermeidung finden. Häufig hilft es schon, sich der Problematik bewusst zu sein (bewusste Inkompetenz). Dann ist es möglich, durch Ausprobieren erfolgreiche Vorgehensweisen finden und trainieren. Nützlich sind oft folgende Methoden:
- Sinngebung und Stärkung des Selbstvertrauens (Wozu dient etwas? An sich glauben!)
- Fokussierung auf das Wesentliche (Effektivität / 80-20-Regel / Pareto Prinzip)
- Erhöhung der Verbindlichkeit durch Vereinbarung von „Belohnung“ oder „Konsequenz“
- Pünktliches beginnen (sich selbst oder anderen einen fixen Zeitpunkt vorgeben und kontrollieren)
- Realistische Planung mit geeigneten Teilzielen und Rückmeldung des Abschlusses
- Arbeitszeitrestriktion durch Zeitverknappung (das festgelegte Zeitfenster wird erst dann vergrößert, wenn es effizient genutzt wird)
Aufgaben der Führungskräfte
Führungskräfte sollten einerseits Vorbilder sein und andererseits die im Führungssystem beschriebenen Aufgaben mit den empfohlenen Methoden erfüllen. Damit kann zumindest sichergestellt werden, dass die Voraussetzungen für eine ausreichende Konzentration gegeben sind und unzulässige Abweichungen (auch Prokrastination) frühzeitig erkannt werden. Wenn Sie mehr dazu erfahren wollen, empfehle ich Ihnen die Literatur oder die Seminarangebote, die Sie auf unsere Website finden.
Ihr,
Andreas Schlatter
Quellen: Neben den eigenen Erfahrungen wurden Inhalte verwendet aus:
- Artikel aus: Psychologie Heute Nr. 6/2017
- Buch: „Promovieren heißt scheitern”
- Wikipedia
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